Junge Gamsgeißen am Feldberg im Schwarzwald.
Gämse (Rupicapra rupicapra) gelten zusammen mit Murmeltieren und Steinböcken als die Charaktertiere der Alpen schlechthin. Dass in Deutschland Gämse aber auch außerhalb der Alpen ihre Fährten ziehen, ist wohl nur wenigen Menschen bekannt. Auf über 2.500 Stück Gamswild werden die Bestände in den deutschen Mittelgebirgen nördliche der Alpen geschätzt. Die vermutlich über Fernwechsel miteinander verbundenen Populationen erstrecken sich vom Süden Baden-Württembergs bis in die Mitte Bayerns. Aber auch in Sachsen kann man vereinzelt auf wandernde Gamsböcke aus dem nahen Tschechien treffen.

Zwei Gamsböcke auf der Schwäbischen Alb.

Fränkischer Gamsbock in der Brunft.

Fränkischer Gamsbock in der Brunft.

Junge Gamsgeiß.
Junge Gamsgeiß.
Gamsgeiß mit ihrem Kitz.
Gamsgeiß mit ihrem Kitz.
Mittelfränkische Gämse im Herbst.

Junge Gamsgeiß im Altmühltal im winterlichen Buchenwald.

Das weltweite Verbreitungsgebiet der Gämsen zieht sich vom Atlantik im Nord-Westen Spaniens bis nach Russland und Georgien am Kaspischen Meer. Es wird zwischen der „Alpen“- und der „Südgams“, sowie weiteren wenigen Unterarten unterschieden. Das größte zusammenhängende Vorkommen erstreckt sich über den gesamten Alpenbogen von West nach Ost. Von dort aus steht die Alpengams über teils sehr weite Fernwechsel mit zahlreichen außeralpinen Lebensräumen in Verbindung.
Gämse sind sehr wanderfreudige Tiere - im jugendlichen Alter ständig auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Sie sind entgegen der landläufigen Meinung nicht an das Hochgebirge gebunden, brauchen jedoch Steillagen, Felspartien, offenen Wald und felsnahe Grünflächen als Lebensraum. All diese Voraussetzungen finden sie auch in deutschen Mittelgebirgen und in den dort tief eingeschnittenen oder angrenzenden Flusstälern vor.
Die Scheibenfelsen im Zastlertal, der Wiege der Schwarzwaldgams.
Die Scheibenfelsen im Zastlertal, der Wiege der Schwarzwaldgams.
Eine der zahlreichen Blockhalden im Hochschwarzwald.
Eine der zahlreichen Blockhalden im Hochschwarzwald.
Die Lochen bei Balingen ist vermutlich die Wiege der Gämse auf der Schwäbischen Alb.
Die Lochen bei Balingen ist vermutlich die Wiege der Gämse auf der Schwäbischen Alb.
Typischer Lebensraum im Oberen Donautal.
Typischer Lebensraum im Oberen Donautal.
Aufgelassener Steinbruch in Mittelfranken.
Aufgelassener Steinbruch in Mittelfranken.
Beispielhafte Gamslebensräume in deutschen Mittelgebirgen.

Gamsgeiß im Mittleren Schwarzwald.

Nacheiszeitliche Funde belegen, dass Gämsen in Deutschland besonders in den südwestdeutschen Mittelgebirgen weit verbreitet waren. Doch im Mittelalter führte eine unkontrollierte Bejagung und Wilderei schließlich zur Ausrottung der meisten Bestände. Trotzdem wurden bis in die Neuzeit immer wieder kleine Rudel oder Einzeltiere fernab der Alpen beobachtet und zum Teil sogar erlegt.
Primär aus einer reinen Begeisterung heraus wurde in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts im Hochschwarzwald eine Initiative gegründet, den einzelnen eingewanderten Schwarzwaldgämsen eine dauerhafte Lebensgrundlage zu ermöglichen und ihre Verbreitung mittels Wiederansiedlung zu fördern.

Gamsgeiß mit ihrem Kitz im felsdurchsetzten Buchenwald im Oberen Donautal.

Nachdem sich der Wunsch einer natürlichen Zuwanderung in ausreichender Anzahl mit anschließender Fortpflanzung nicht erfüllte, wurden unter der Leitung des Forstamtes Kirchzarten insgesamt 21 Gämsen aus Österreich importiert und im Zastlertal in der Nähe vom Feldberg ausgewildert. 
Den Krieg und die Besatzungszeit überstanden die Tiere nahezu unbeschadet, im Gegenteil, der Bestand wuchs auf mehrere hundert Stück an und verbreitete sich in alle Himmelsrichtungen. Bereits vor dem Krieg war das deutsch-französische Verhältnis zwischen Jägern und Forstleuten in Südbaden sehr gut und so versprachen die französischen Besatzer, das Gamswild zu schonen. Als Dank wurden 1956 elf Gämsen am Feldberg im Schwarzwald eingefangen und in den Vogesen in der Nähe von Ranspach ausgewildert. Heute wird der sich daraus entwickelte Bestand auf mehr als 1.300 Stück geschätzt. Das Vorkommen erstreckt sich über die gesamten südlichen und mittleren Vogesen bis zur Autobahn A4 bei Pfalzburg. Nördlich davon kommen nur sporadisch Gämsen vor, die Autobahn wirkt als künstliche Barriere mit nur einer und dann noch seit Jahren gesperrten und zu schmalen Grünbrücke.
Trotz dieser Barriere gibt es sporadisch sogar Sichtungen von Gämsen im Pfälzer Wald, der sich mit seinen schroffen Sandsteinfelsen nördlich der deutsch/französischen Grenze an die Vogesen anschließt. Der letzte (auch fotografisch) dokumentierte Gams-Nachweis liegt etwa 10 Jahre zurück. Damals wurde eine Gams an der südlichen Weinstraße und in der Nähe von Pirmasens fotografiert.

Eine Gams im Morgenrot in den Vogesen. Im Hintergrund ist der 78 Kilometer Luftlinie entfernte Feldberg im Schwarzwald zu erkennen, wo die Vogesengämsen ihren Ursprung haben.

Typischer Gamslebensraum in den hohen Vogesen. Zahlreiche Vogesen-Gipfel liegen aufgrund von starker Beweidung und dem raueren Klima (im Vergleich zum Schwarzwald) oberhalb der Baumgrenze. Die Hänge werden vielerorts von schroffen Felsen geziert, die Anmutung ist teil hochalpin.

Alte und trächtige Gamsgeiß im Hochschwarzwald.

Halbseitig blinde Gamsgeiß in Begleitung von zwei Kitzen am Feldberg im Schwarzwald.

Gamsgeiß mit abgebrochenen Krucken im Hochschwarzwald.

Ab den 50er Jahren entwickelten sich weitere Vorkommen, teils durch Zuwanderung, teils durch Auswilderung, auch im Donau- und Neckartal, auf der Schwäbischen und Fränkischen Alb, sowie im Altmühltal. Immer wieder drangen einzelne Stücke sogar bis auf eine Linie Karlsruhe - Nürnberg nach Norden vor oder schwammen durch den Rhein.
Die ersten Gämsen der Schwäbischen Alb sind vermutlich aus dem Schwarzwald zugewandert. Inspiriert von der erfolgreichen Wiedereinbürgerung dort, wurden 1958 am Lochenpass bei Balingen weitere fünf Stück auf Bestreben der örtlichen Kreisjägervereinigung ausgewildert. 1963 brachen zusätzlich sieben Gämse aus einem Gehege bei Rottweil aus. In der Folge entstanden nachhaltige Vorkommen am Neckar und am Albtrauf, etwas später dann auch im nahen Donautal. Während sich die Bestände auf der Alb und im Donautal bis heute hielten, kommen am Neckar nur noch wenige Gämsen als Standwild vor.
Das Gamswild in der baden-württembergischen Adelegg und der bayerischen Kürnach ist vermutlich natürlichen Ursprungs und über Fernwechsel mit den nahen Allgäuer Alpen verbunden. Bis vor einigen Jahren gab es ein weiteres Vorkommen auf dem nahegelegenen Mittelgebirgskamm Sonneneck. Dieser fiel jedoch der lokalen Forstpolitik zum Opfer. Heute kommt dort Gamswild nur noch als seltenes Wechselwild vor. Immer wieder werden Gämsen aber auch im Unter- und Ostallgäu, bis weit nördlich von Kempten gespürt und gesichtet. Mitte des letzten Jahrhunderts gab es sogar ein größeres (und der Bevölkerung bekanntes) Rudel, das immer wieder bis nach Landsberg und Memmingen vorgedrungen ist. 
Woher die ersten fränkischen Gämsen kamen, lässt sich indes nicht zuverlässig herleiten. Es halten sich Gerüchte, dass sie in einem besonders eisigen Winter (wie 1962/63) zugewandert sind. Andere sagen, ein ortsansässiger Jagdpächter hätte sie ausgesetzt. Gesichert ist nur, dass der Nürnberger Tiergarten den bereits bestehenden Bestand in den späten 60er Jahren um einige Tiere zur Blutaufrischung aufstockte.

Mittelalter Gamsbock im Altmühltal.

Ein für Gamswild eher ungewöhnlicher Anblick: Gamsbrunft im Senf. Gämse zieht es bei Verfügbarkeit genauso in die landwirtschaftliche Flächen wie andere Wildarten auch. Ungewöhnlich ist der Anblick deshalb, da solche Flächen im Hochgebirge rar gesät sind, wir die Gams aber gedanklich mit dem Hochgebirge verbinden.

Gamswild ist im Anhang V der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) gelistet. Die FFH-Richtlinie ist eine Naturschutz-Zielvorgabe der EU und hat zum Ziel, wildlebende Arten und deren Lebensräume sowie die europaweite Vernetzung dieser Lebensräume zu sichern und zu schützen. 
Laut Anhang V ist für die Gams ein günstiger Erhaltungszustand sicherzustellen. Dieser muss systematisch und permanent überwacht werden. Über ein vorgeschriebenes Monitoring müssen Informationen über die Verbreitung der Art, den Zustand bzw. potentieller Gefährdung der Population und ihrer Lebensräume gesammelt werden. Bislang fand ein solches Monitoring in vielen Gamsvorkommen Deutschlands nur auf dem Papier anhand von Schätzungen und dem Hochrechnen von Abschusszahlen statt. Zählungen wurden, wenn überhaupt, dann nur freiwillig und auf begrenztem Raum abgehalten. Aus Schätzungen leiten die Behörden dann wiederum die Abschussvorgaben für die kommenden Jahre ab. 
Als Folge von möglicherweise gewollten oder ungewollten realitätsfernen Schätzungen, steigen aber auch die Risiken der Überjagung oder Überhege und sukzessive der unkontrollierten Ab- oder Zunahme der Bestände, da häufig weitere bestandsreduzierende oder -fördernde Faktoren wie Nahrungsverfügbarkeit, Witterung, Klimawandel, Krankheiten und Raubtiere bei der Berechnung der Abschussvorgaben unberücksichtigt bleiben.
Seit dem Oktober 2020 steht das Gamswild zudem in der Vorwarnliste der Roten Liste in Deutschland. Das heißt, die Art ist aktuell noch ungefährdet, verschiedene Faktoren könnten eine Gefährdung in den nächsten zehn Jahren aber herbeiführen. Erwähnt werden durch das BfN insbesondere die Aufhebung der jagdlichen Schonzeit in so genannten Sanierungsgebieten und eine unsachgemäße Bejagung ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Beide Faktoren haben bereits dazu geführt, dass die Gamsbestände vielerorts abnehmen.
Junge Gamsgeiß im Altmühltal.

Junge Gamsgeiß im Altmühltal.

Alter Gamsbock am Albtrauf.

Alter Gamsbock am Albtrauf.

Mangels valider Zahlen lässt sich der aktuelle außeralpine (wie auch der alpine) Bestand in Deutschland nur schätzen. Wenn man den unterschiedlichen Quellen Glauben schenken kann, beträgt dessen Höhe heute etwa 2.500 bis 3.000 Gämsen. Vermutlich 80 bis 90 Prozent davon leben in Baden-Württemberg. Das Hauptvorkommen liegt mit etwa 1.900 Stück im Schwarzwald. 
Als erste Organisation in Deutschland startet nun die Wildforschungsstelle des Landes Baden-Württemberg ein populationsgenetisches Monitoring der Gämsen im eigenen Bundesland. Anhand des Monitorings sollen Aussagen über die genetische Strukturverteilung bestehender Bestände, über Wanderrouten und Verbindungen zwischen den Vorkommen, sowie über die Identifikation künstlicher und landschaftlicher Barrieren getroffen werden.

Zwei Gamsgeißen im Mittleren Schwarzwald.

Herbstzeit ist Brunftzeit: blädernder Gamsbock.

In Bayern konzentrieren sich die bedeutendsten außeralpinen Gamsbestände auf ein Vorkommen in der Kürnach/Adelegg (länderübergreifend bis nach Baden Württemberg) und weiter im Norden auf einen wohlmöglich isolierten Bestand auf der Fränkischen Alb. Viele darüber hinaus bekannte Vorkommen im Randbereiche der Voralpen wurden Ende der 1980er-Jahre ausgelöscht. Auslöser war eine bayerische Richtlinie, die festschreibt, dass Gamswild, das seinen Lebensraum ausschließlich im Wald sucht, nicht gehegt werden darf. Diese Richtlinie hat weiterhin ihre Gültigkeit, weshalb der Bestand in der Kürnach nun in den Fokus des zuständigen Forstamts gerückt ist. Auf dem Papier beschränkt sich der Gamslebensraum in Bayern mithin auf solche Regionen, die oberhalb der Baumgrenze liegen. Den Bayerischen Staatsforsten wird nun vorgeworfen, die Gams in der Kürnach ausrotten zu wollen. Diese jedoch wehren sich vehement gegen den Vorwurf. Fakt ist jedoch, dass die geplanten Abschusszahlen in den letzten Jahren immer weiter erhöht wurden und in Summe wohl den Nachwuchs übertreffen, was dauerhaft zu einem deutlichen Bestandsrückgang führen wird.
Gamslebensraum in der Adelegg. Steile und enge Tobel zerschneiden die Mittelgebirgslandschaft.
Gamslebensraum in der Adelegg. Steile und enge Tobel zerschneiden die Mittelgebirgslandschaft.
Auf der bayerischen Seite in der Kürnach sieht es ähnlich aus.
Auf der bayerischen Seite in der Kürnach sieht es ähnlich aus.
Einzelne Stimmen behaupten, dass die Gams in der Adelegg mangels Felsen überhaupt keinen natürlichen Lebensraum vorfinden kann. Richtig ist, dass Felsen großflächig fehlen. Dafür ist das Gebiet aber von tiefen, unwegsamen Tobeln und zahlreichen Nagefluhabbrüchen durchzogen, die felsartige Strukturen aufweisen und vom Gamswild erfolgreich zu Feindvermeidung genutzt werden können. Eine gemeinsame Initiative von Natur- und Jagdschutzvereinen möchte den Konflikt rund um die Gams in der Kürnach nun wissensbasiert befrieden. Dazu wurden alle Akteure wie Grundeigentümer, Jagdpächter und Hegeringleiter in einen kooperativen Prozess eingebunden. Zusätzlich wurde der Gamsbestand mittels Genotypisierung von Losung seit 2020 einer genauen Zählung unterworfen. Dabei wurde allerdings ein Bestand von gerade einmal 35 Gämsen ermittelt. Lokale Experten gehen aber davon aus, dass zwei Rudel Scharwild (Geißen mit Kitzen) und einzelne Böcke mit einer Gesamtgröße von 50 bis 80 Stück durch die Kürnach ziehen. Für das Jagdjahr 2023/24 konnte man sich nun auf eine Abschussvorgabe von 11 Gämsen einigen, nachdem in 2022 12 erlegt wurden.

Eine der letzten Gämsen aus der Adelegg? Junge Gamsgeiß, nur wenige Meter neben der Landesgrenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern.

Doch es tut sich noch mehr: kurz nach der bereits erwähnten Ankündigung der Wildforschungsstelle Baden-Württemberg über den Start eines Monitoring ihrer Gämse hat nun auch die bayerische Staatsministerin Michaela Kaniber ein dreijähriges Forschungsprojekt vorgestellt, welches Informationen über die Verbreitung der Gämse und deren Populationszusammensetzung im bayerischen Alpenraum anhand von Gewebeproben liefern soll. Das Projekt soll letztendlich auch die Spekulationen über zu hohe oder zu niedrige Abschusszahlen auf eine sachliche Ebene zurückführen. Erste Ergebnisse wurden bereits von Michaela Kaniber zitiert und deuten aus ihrem Blick darauf hin, dass die Gams im bayerischen Alpenraum keineswegs gefährdet sei. Dabei muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Zählung lediglich zwei Gebiete von insgesamt 125 Quadratkilometern umfasste und das Ergebnis auf den gesamten bayerischen Alpenraum hochgerechnet wurde. Die offizielle Verbreitungsfläche der Gämse in Bayern macht 4.090 Quadratkilometer aus, gezählt wurde somit nur auf 3 % der Gesamtfläche. Unberücksichtigt bleiben dabei auch die zahlreichen Schutzwaldsanierungsgebiete, in denen die Schonzeit ganzjährig aufgehoben wurde und der Bestand somit deutlich geringer ausfallen wird. 
Konsequenterweise hat Michaela Kaniber nun angekündigt, die Zählung auf das gesamte bayerische Gamsgebiet auszuweiten. Mit validen Ergebnissen ist aber erst in einigen Jahren zu rechnen.

Die Karte zeigt die Verbreitung des Gamswilds in Deutschland (ohne Sachsen). In Rot sind die Lebensräume gekennzeichnet, in denen Gamswild als Standwild vorkommt. Die gelben Linien stellen bestätigte Fernwechsel dar.

Waldgams in Mittelfranken
Waldgams in Mittelfranken
Waldgams in Mittelfranken
Waldgams in Mittelfranken
Waldgämse in Mittelfranken
Waldgämse in Mittelfranken
In Sachsen dagegen kommt Gamswild nur noch als sporadisches Wechselwild vor. 
Zwischen 1906 und 1940 wurden 23 Gämsen aus Bayern, Österreich und der Schweiz im Sächsischen Elbsandsteingebirge und der Böhmischen Schweiz (in der heutigen Tschechei) ausgewildert. 
Während sich der Bestand in der Böhmischen Schweiz und im Lausitzer Gebirge (auf tschechischer Seite) bis heute halten und auf den bis zu 800 Meter hohen Basaltkuppen sehr gut vermehren konnten (auf einen maximalen Bestand von ca. 250 Stück in den 1990er Jahren), verschwand das Gamswild als Standwild aus dem Gebiet des heutigen Nationalparks Sächsische Schweiz bereits in den 1970er Jahren. 
Als Ursache für das Verschwinden wird der vorherrschende Sandstein in Verbindung mit dem wachsenden Tourismus verantwortlich gemacht. Mehrfach konnte beobachtet werden, wie Gämsen in den steilen Sandsteinfelsen abstürzten, als sie vor plötzlich eintreffenden Menschen fliehen wollten. Vermutlich finden ihre Schalen auf glattem und porösem Sandstein weniger Halt als auf anderen Gesteinsarten.
Älterer Gamsbock im Lausitzer Gebirge
Älterer Gamsbock im Lausitzer Gebirge
Gamsgeiß auf Blockhalde im Lausitzer Gebirge
Gamsgeiß auf Blockhalde im Lausitzer Gebirge
Starker Gamsbock am Kaltenberg
Starker Gamsbock am Kaltenberg
Junger Gamsbock am Kaltenberg
Junger Gamsbock am Kaltenberg
Erfreulicherweise wurde Gamswild auf deutscher Seite in den letzten Jahren wieder mehrfach bestätigt, ja sogar fotografiert. Es wird von Einzeltieren oder gar kleinen Rudeln aus dem Zittauer Gebirge, insbesondere um die Lausche und Jonsdorf, sowie dem Nationalpark Sächsische Schweiz berichtet. Allerdings gab es auch einen Totfund, der das Dilemma mit dem Sandstein verdeutlicht. Die Gams konnte nicht mehr laufen, weil die Schalen sichelförmig auf 20 cm Länge ausgewachsen waren. Im Gegensatz zum Elbsandsteingebirge bestehen das Zittauer- und das Lausitzer Gebirge in den Gipfelregionen aus hartem Vulkan- und Basaltgestein.
Die Sächsisch-Böhmische Gamspopulation gilt geographisch übrigens als die nördlichste weltweit und unterliegt in Deutschland einer ganzjährigen Schonzeit.
Gamsgeiß in der Abendsonne.
Gamsgeiß in der Abendsonne.
Gamsgeiß im späten Frühling.
Gamsgeiß im späten Frühling.
Zu ihrem Leidwesen ist die Gams in der jüngsten Vergangenheit neben der Kürnach auch an anderen Orten außerhalb der Alpen in den Fokus von Interessenskonflikten geraten. Da gibt es auf der einen Seite die bereits durch andere Schalenwildarten ausgelösten Sorgen von Waldbesitzern und Förstern, dass nun auch Gamswild ihren Wald durch Verbiss am Wachstum hindert. Da gibt es Botaniker und Naturschützer, die eiszeitliche Reliktpflanzen auf exponierten Felsstandorten insbesondere im Donautal und am Albtrauf durch das Gamswild gefährdet sehen: Verbiss, Trittschäden, aber auch die Exkremente der Gämse hätten zu einem deutlichen Rückgang der streng geschützten Vegetation geführt. Sie fordern den Totalabschuss, da Gamswild aus ihrer Sicht in Baden-Württemberg nie heimisch war. 
Gämse auf einer Schotterhalde mit stark verbissenen Fichten. Die Triebe werden jedes Jahr so stark beäst, dass die Bäume in die Breite, jedoch nicht in die Höhe wachsen. Solche „Bonsai-Fichten“ konnte ich in den außeralpinen Lebensräumen aber jeweils nur auf sehr eng begrenztem Raum beobachten..

Gämsen auf einer Schotterhalde mit stark verbissenen Fichten. Die Triebe werden jedes Jahr so stark beäst, dass die Bäume in die Breite, jedoch nicht in die Höhe wachsen. Solche „Bonsai-Fichten“ konnte ich in den außeralpinen Lebensräumen aber jeweils nur auf sehr eng begrenztem Raum beobachten.

Knospen, Triebe und Blätter gehören zur Grundnahrung der Gams.
Knospen, Triebe und Blätter gehören zur Grundnahrung der Gams.
Dessen Verbiss kann bei Kulturpflanzen zu einem ökonomischen Schaden führen.
Dessen Verbiss kann bei Kulturpflanzen zu einem ökonomischen Schaden führen.

Gamsgeiß verbeisst Buchensprößlinge.

Kritiker dieser Hypothese betonen, dass auch andere Ursachen, wie der Klimawandel oder der Mensch für die Schäden verantwortlich sein könnten. So hat eine Halbierung des Gamsbestands im Donautal zu keiner Erholung der Pflanzengemeinschaften geführt. Mittlerweile ist auch belegt, dass Gämse den Felsköpfen Nutzen stiften: sie tragen Samen in ihrem Fell und der Losung an neue Orte und arbeiten sie mit ihren Tritten in den Boden ein. Sie halten die Felsen frei von schattenspendenden Bäumen und Sträuchern, die die Reliktarten andernfalls verdrängen könnten. 
Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat 2019 nun eine über mehrere Jahre angesetzte Studie in Auftrag gegeben, welche den Einfluss der Gämse auf die Reliktpflanzen zum Inhalt hat. Während dieser Zeit soll der lokale Gamsbestand nicht in Frage gestellt werden. 

Typischer Gamslebensraum mit drei ruhenden Gämsen im Oberen Donautal. Die bereits erwähnten Reliktpflanzen wachsen bevorzugt auf solchen hier zu sehenden exponierten Felsköpfen und Vorsprüngen.

Auf der anderen Seite scheint die Zahl der Befürworter für Gämsen in außeralpinen Bereichen sehr hoch zu sein. Besonderen Zuspruch erhält das Gamswild von der einheimischen Bevölkerung und deren Urlaubsgästen. Doch auch Jäger, Wildbiologen und Naturbeobachter kämpfen für dessen Erhalt. 
In Mittelfranken lassen sich auffällig viele Gämse mit sehr eng gestellten Krucken beobachten. Eine Laune der Natur oder bereits Zeichen von Inzucht?

In Mittelfranken lassen sich auffällig viele Gämsen mit sehr eng gestellten Krucken beobachten. Eine Laune der Natur oder bereits Zeichen von Inzucht?

Eine junge Gamsgeiß aus Mittelfranken.

Gamsgeiß mit ihrem jungen Kitz.

Unabhängig vom Ort eines außeralpinen Gamsvorkommens ist mir aufgefallen, dass die Lebensräume vom Waldtyp und der Topographie her sehr identisch sind. Es dominieren Steilhänge mit Buchen- und Kiefernaltholz, durchsetzt von teils sehr schroffen und senkrechten Felswänden mit Schutt- bzw. Blockhalden. Dort wo solche Halden vorkommen, wirken sie wie ein besonderer Magnet. Daran angrenzend befinden sich in den Höhen- oder Tallagen immer offene Grünland-, teils auch bewirtschaftetet Ackerflächen. Je nachdem mit welcher Saat die Äcker bestellt sind, werden sie von den Gämsen zur Äsung aufgesucht. Konkret konnte ich Gamswild bislang in Raps- und Senffeldern beobachten. 
Junger fränkischer Gamsbock in Buchenhochwald.
Junger fränkischer Gamsbock in Buchenhochwald.
Junger Gamsbock auf der Fränkischen Alb
Junger Gamsbock auf der Fränkischen Alb
Ferner habe ich den Eindruck, dass die Sozialstruktur der außeralpinen Populationen gesünder als die, der in den bayerischen Alpen heimischen Gämsen ist. Fast überall konnte ich sehr alte Böcke und Geißen bestätigen. Die Stärke der Krucken ist subjektiv betrachtet gleich wie bei ihren Artgenossen in den Alpen. Auf der Fränkischen Alb konnte ich jedoch mehrere Stücke mit teils sehr eng stehenden Krucken beobachten. Hypothetisch könnte dies ein Zeichen von Inzucht sein.
Die außeralpinen Bestände scheinen vitaler und robuster als die Populationen der Alpen zu sein. So setzen die Geißen häufiger Zwillingskitze, was zu einer höheren Reproduktionsrate führt. Typische Krankheiten wie Gamsblindheit und Gamsräude sind bislang nur einzeln aber nicht flächendeckend aufgetreten. Vermutlich eine Folge des milderen Klimas und der längeren Vegetationszeit, aber auch des geringeren direkten Kontaktgeschehens zu Weidevieh und Schafen. Die Körpergewichte scheinen Studien zur Folge jedoch leicht niedriger als die der Gämse in den Alpen zu sein.
Gamsböcke auf der Schwäbischen Alb.
Gamsböcke auf der Schwäbischen Alb.
Gerissen oder natürlich verendet? Gamslauf in Mittelfranken.
Gerissen oder natürlich verendet? Gamslauf in Mittelfranken.
Zu guter Letzt noch ein paar Worte zur Sichtbarkeit. An einigen Orten lässt sich das Gamswild sehr gut beobachten, da es Touristen, Skifahrer und Mountainbiker gewohnt ist. Zumindest solange, wie sich die Menschen auf Wegen und Pisten aufhalten, ist das Fluchtverhalten relativ gering. Sobald die Wege aber verlassen werden, fliehen auch die Gämsen zurück zu Ihren sicheren Zufluchtsorten. In anderen Gegenden wiederum sind die Gämsen sehr scheu und suchen bei jeder kleinsten Störung das Weite auf. Als Ursachen konnte ich in diesen Fällen die bestätigte Anwesenheit von Luchsen oder aber erhöhten Jagddruck ausmachen.
Wie sich die außeralpinen Gamsbestände der Zukunft im Allgemeinen und im Besonderen in eher felsarmen Regionen bei der Anwesenheit von Wolf und Luchs entwickeln werden, lässt sich nur erahnen. Vermutlich müssen die Rudel den Umgang mit den Raubtieren zunächst einmal neu erlernen, da die Gams per se sehr neugierig und naiv ist. Empfindliche Verluste durch Luchse konnten bereits im Schwarzwald und Donautal beobachtet werden. Da das Erlernte in der Regel an die nächsten Generationen weitergeben wird, werden auch die Gämse neue (alte) Strategien zur Feindvermeidung kreieren. Schließlich sind auch die mittelalterlichen Gämse der deutschen Mittelgebirge und Flusstäler nicht durch Raubtiere, sondern durch den Mensch verdrängt worden. Die Hoffnung besteht, dass sich dies im aktuellen Jahrhundert nicht wiederholen wird.
All die oben genannten Hypothesen und Beobachtungen möchte ich in den kommenden Monaten und Jahren durch Besuche von weiteren außeralpinen Gamsvorkommen ergründen und final in einem Buch zusammenfassen.

Gamsgeiß im herbstlichen Mittleren Schwarzwald.

Abendstimmung am Lochen bei Balingen.

Abendstimmung am Lochen bei Balingen.

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    Jana Ulbrich (2019): Gämsen im Zittauer Gebirge? Es gibt sie!, Sächsische Zeitung, 14.02.2019
    Gert Ungureanu (2017): Wir haben im Kreis keine Gämsenplage, Schwarzwälder Bote, 08.03.2017
Jens Posthoff, Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz I, Email vom 16.09.2021
Gemsen haben das Gebirge satt, Quick München (Ausgabe 19) vom 07.05.1955
Gämsen tauchen im schwäbischen Flachland auf, Münchner Merkur vom 04.01.1956
Ausrottung befürchtet: Tierschutzverein klagt gegen Gamsjagd, BR24 vom 18.10.201
Mehr Gämsen als erwartet in den bayerischen Bergen, BR24 vom 16.10.201

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