Eine Gams inspiziert die Schroffen Schluchten rund um den Hohneck in den Hohen Vogesen.

Im Rahmen meiner Arbeit über außeralpine Gamsvorkommen in Deutschland und dem grenznahen Ausland ging es Mitte Oktober 2021 zum 1.363 m hohen Hohneck, dem dritthöchsten Berggipfel der Vogesen. Die Vogesen sind ein im nordöstlichen Frankreich befindliches Mittelgebirge, das sich parallel zum Baden-Württembergischen Schwarzwald erstreckt und von diesem durch den oberen Rheingraben getrennt wird. 
Im Vergleich zum Schwarzwald sind die Vogesen sowohl klimatisch als auch geologisch von einer "raueren" Beschaffenheit. Starke Westwinde und hohe Niederschläge sorgen für eine natürliche Waldgrenze, die auf zahlreichen Gipfeln bereits ab 1.200 m beginnt (Im Schwarzwald nur am Feldberg und Belchen und dort ab 1.400 m). Gepaart mit schroffen Felswänden, zeigen viele dieser Gipfel einen eher alpin anmutenden Charakter und sind somit ein optimaler Lebensraum für Gamswild.

Blick von Süden auf den 1.363 m hohen Hohneck mit seinem alpin anmutenden Charakter.

Eine junge Gamsgeiß in Begleitung von zwei Gamskitzen und einer Jährlingsgeiß (1-jährige Gamsgeiß) auf einer Felsnase am Hohneck.

Insbesondere junge Gamsböcke zeigen sich sehr wanderfreudig, gerne auf der Suche nach paarungswilligen Geißen und neuen Lebensräumen. Dieser Bock trägt bereits das schwarze Winterkleid im Gegensatz zum hellbraunen Sommerkleid der Gämse auf dem Bild zuvor. Böcke lassen sich übrigens durch die weiter nach hinten gehakelten (gebogenen) Krucken (Hörner) von den Geißen unterscheiden.

Gamswild kam bis zum späten Mittelalter auf natürliche Weise in den Vogesen vor. Unkontrollierte Wilderei führte in der Folgezeit aber zum Auslöschen der Bestände. Bis ins zwanzigste Jahrhundert gab es nur noch sporadische Nachweise. Dazu gehörten unter anderem junge Gamsböcke, die über alte Fernwechsel aus den Alpen auf der Suche nach neuen Lebensräumen waren. Wanderbewegungen waren auch aus dem nahen Schwarzwald und dem Jura bekannt.

Flehmender Gamsbock. Unter Flehmen versteht man eine intensive Geruchsaufnahme. In der Brunft ist das Flehmen häufig zu beobachten, der Gamsbock testet damit die Paarungsbereitschaft der Geißen.

Primär aus jagdlichen Überlegungen wurden in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts im Hochschwarzwald Gämse wieder angesiedelt. Die Wiedereinbürgerung war so erfolgreich, dass der Bestand in den 40er Jahren bereits mehrere hundert Stück betrug und sich in alle Himmelsrichtungen verbreitete.
Den Krieg und die Besatzungszeit überstanden die Tiere nahezu unbeschadet. Bereits vor dem Krieg war das deutsch-französische Verhältnis zwischen Jägern und Forstleuten in Südbaden sehr gut und so versprachen die französischen Besatzer, das Gamswild im Schwarzwald zu schonen. Als Dank wurden 1956 elf Gämse am Feldberg eingefangen und in den Vogesen in der Nähe von Ranspach ausgewildert. Heute wird der sich daraus entwickelte Bestand auf mehr als 2.000 Stück geschätzt. Der heutige Lebensraum erstreckt sich von Belfort am Rande der Südvogesen bis in die Höhe von Pfalzburg am Rande der Nordvogesen, wo eine Autobahn die weitere Verbreitung nach Norden erschwert. 

Gamsgeiß in der Morgendämmerung. Im Hintergrund ist der 78 km Luftlinie entfernte Feldberg im Schwarzwald zu erkennen, von wo aus die Vogesengämse ihren Ursprung haben.

Mittelalte Gamsgeiß auf der Hochebene des Hohneck.
Mittelalte Gamsgeiß auf der Hochebene des Hohneck.
Junge Gamsgeiß am Rande der Baumgrenze.
Junge Gamsgeiß am Rande der Baumgrenze.
Gamsgeiß.
Gamsgeiß.
Der bekannteste Ort, um Gämse in den Vogesen zu beobachten und zu fotografieren ist sicherlich der Gipfel des Hohneck. Durch seinen alpin anmutenden Charakter bietet er dem Gamswild einen optimalen Lebensraum mit vielen ungestörten Rückzugsmöglichkeiten. Der Hohneck ist der einzige Gipfel in den Vogesen, der direkt mit dem Auto angefahren werden kann. Entsprechend hoch ist die Besucherzahl, insbesondere bei gutem Wetter.
Doch die Gämse kennen das Spiel und haben sich an die vielen Touristen gewöhnt. Relativ ungestört lassen sie sich beobachten und fotografieren. Wird es ihnen zu viel oder kommen ihnen Personen zu nahe, ziehen sie sich rasch in die steilen Felswände zurück.

Steile und für uns Menschen unwegsame Felswände sichern den Gämsen am Hohneck einen ruhigen Rückzugsort.

Auch wenn das Nebeneinander von Gämsen und Touristen recht harmonisch erscheint, ist das Wild einem gewissen Stresspotential ausgesetzt. So berichtete ein ortsansässiger Wildhüter davon, dass die Durchschnittsgewichte der Gämse am Hohneck 25 Prozent niedriger als bei ihren Artgenossen in den übrigen Vogesen sind.
Denn nicht alle Menschen achten das rund um den Gipfel geltende Wegegebot und sorgen bei den Gämsen für spontane und energiezehrende Fluchtreaktionen. So verlockend es auch zu sein scheint, ein Verlassen der Wege ist nicht nötig, um den Gämsen nahe zu kommen. Man muss nur auf die richtigen Zeiten achten.
Tagsüber verstecken sich die Tiere in den steilen Schluchten und dichten Buchenwäldern um den Gipfel. Erst etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang verlassen sie ihre Einstände und ziehen langsam in Richtung Hochplateau, wo sie in der Dunkelheit Ruhe finden. Ein Fernglas ist zu dieser Zeit sehr hilfreich. Doch es muss schon mit dem Teufel zugehen oder das Wetter äußerst schlecht sein, um kein Gamswild zu sehen.

Gämse und Menschen begegnen sich am Hohneck täglich. Solange wir Menschen auf den für die Gämse gewohnten Wegen laufen, stellen wir für sie keine Gefahr dar. Wehe aber, wir verlassen die Wege. Dann kann es zu energiezehrenden Fluchtreaktionen kommen.

Dämmerung mit Alpenblick. Sogar der Mont Blanc, das Matterhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau lassen sich vom Hohneck mit dem blossen Auge entdecken.

Morgens läuft das Spiel genau umgekehrt. Etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang zieht es die Gämse zurück in ihre Einstände und die Felsen tief unterhalb des Gipfels. Bis dahin kommt man ihnen an einigen Orten besonders nah. Ein guter Ort ist das Plateau oberhalb der Martinswand, wo sich regelmäßig ein Rudel von über 20 Stück aufhält. Das Plateau ist vom Gipfelparkplatz aus in ca. 20 Minuten zu erreichen (in nördliche Richtung gehen).
Der Sonnenaufgang von der Martinswand aus gesehen.
Der Sonnenaufgang von der Martinswand aus gesehen.
Auf der Martinswand.
Auf der Martinswand.
Gamsgeiß an der Martinswand.
Gamsgeiß an der Martinswand.
Martinswand im Hintergrund.
Martinswand im Hintergrund.
Ebenfalls sehr vielversprechend ist der Rundweg (eher ein Pfad) um den Hauptgipfel. Diesen kann man vom Parkplatz aus in nördliche oder östliche Richtung starten. Ich empfehle sowohl am Morgen (deutlich vor Sonnenaufgang), als auch am Abend (ca. eine Stunde vor Sonnenuntergang) die nördliche Route als Startpunkt zu nehmen. Nach ein paar hundert Metern biegt der Weg über eine Treppe nach Osten ab (geradeaus geht es weiter zur Martinswand) und es zeichnen sich zahlreiche Felswände als Silhouetten vor dem dämmernden Horizont ab. Mit ein wenig Glück stehen eine oder mehrere Gämse genau auf diesen Felsen, wie auf einem meiner Bilder weiter oben.
Am Abend befindet sich das Gegenlicht dann im Westen. Ähnliche Felsen gibt es unterhalb des Gipfelhauses auf südlicher Seite. Wenn man diese von Osten aus ansteuert, kann man mit wein wenig Glück ähnliche Ergebnisse wie am Morgen erzielen. Ein Beispiel ist das erste Bild mit der Gams im Gegenlicht.

Ebenfalls lohnend ist ein Besuch des Plateaus oberhalb der Spitzköpfe, wo ich diesen Gamsbock ablichten konnte. 

Gamsbock unweit der Spitzköpfe in den Vogesen. Die Spitzköpfe befinden sich südlich vom Hohneck.

Die meisten meiner hier gezeigten Bilder habe ich mit einer Brennweite von 400 mm gemacht.   Begleitet hat mich dazu eine spiegellose Canon R5.
Viel Spaß beim Betrachten!
Marco Schütte auf dem Hohneck.
Marco Schütte auf dem Hohneck.
Blick zum 1.424 m hohen Grand Ballon, dem höchsten Berg der Vogesen.
Blick zum 1.424 m hohen Grand Ballon, dem höchsten Berg der Vogesen.
Gamsgeiß mit Gamskitz.
Gamsgeiß mit Gamskitz.
Gamsbock.
Gamsbock.
Gamsgeiß in der Morgensonne.
Gamsgeiß in der Morgensonne.
Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang.
Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang.

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